Archive for Dezember 2008

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Jaroslav Drobny – vom Verfluchten zum Heiligen

22. Dezember 2008

Als Jaroslav Drobny vor eineinhalb Jahren ablösefrei vom VfL Bochum zu Hertha wechselte, fragte ich mich zunächst einmal, wie Dieter Hoeneß das hinbekommen hatte. Denn der damals 28-Jährige wurde auch von Celtic Glasgow umworben und eigentlich wunderte es mich, dass die anderen Bundesligaklubs keine Notiz von ihm genommen hatten.

Drobny war erst im Frühjahr 2007 zu den abstiegsbedrohten Bochumern gewechselt, nachdem er es zuvor nicht geschafft hatte in der englischen Premier League Fuß zu fassen. Über die Stationen Budweis (Tschechien), Athen, Fulham, Den Haag und Ipswich Town landete der damals vertragslose Torwart im Hafen des Bundesliga-Abstiegskampfes  und stieg dort sofort zum Leistungsträger, mehr noch, zu einem der besten Torhüter der Bundesliga-Rückrunde auf. Dieter Hoeneß hatte Drobny offenbar früh auf dem Zettel, was vor allem daran gelegen haben mag, dass neben dem Vor- und Nachnamen des Torhüters groß und rot das Wort „ablösefrei“ gestanden haben muss. Spieler, die diesen Stempel tragen und noch dazu überragende Leistungen bringen, lassen bei Fußballmanagern natürlich die Augen leuchten. Dem Vernehmen nach hatte Drobny im Sommer 2007 allerdings nur drei Angebote vorliegen. Aus Bochum, Berlin und Glasgow. Britischen Fußball hatte Drobny bereits satt, Bochumer Abstiegskampf anscheinend auch, weshalb er sich relativ schnell und ohne großes Gefeilsche für die Hauptstadt entschied.

Dort hatte gerade ein Umbruch begonnen, ein neuer Trainer war verpflichtet, neue Spieler deshalb auch noch nicht geholt worden. Nur bei Drobny machte Manager Hoeneß eine Ausnahme, weil der Keeper und Bochum „Klarheit wollten“. Herthas Fans freuten sich. Endlich – so frohlockten einige (und auch ich) – brauchten sie keine Angst mehr vor Eckbällen zu haben. Eine der Situationen in der Prä-Drobny-Ära, die, vor allem wegen des geringen Größenmaß‘ vom bisherigen Stammtorhüter Christian Fiedler (1,80 m), den größten Herzinfarkt-Faktor in der Ostkurve innehatte. Lucien Favre kam und rief zunächst ein wenig überraschend einen echten Konkurrenzkampf aus. Sowohl Fiedler als auch Drobny durften in der Vorbereitung spielen. Zum Bundesligastart stand dann aber der Große zwischen den Pfosten, während der Kleine Wachstumshormone verschrieben bekam.

Dass die Bundesliga der englischen Premier League dann doch gar nicht so unähnlich zu sein schien, merkte man an Drobnys Leistungen. In seinem ersten Jahr war seine Quote für gehaltene Unhaltbare in etwa so hoch, wie die der guten Flanken von Sofian Chahed oder Mark Stein in der darauffolgenden Saison. Dabei hatte beim Pokalspiel in Unterhaching – seinem ersten Pflichtspiel – alles so gut begonnen. „Hertha Habemus Hexer“ titelte der Berliner Kurier sogar. Doch so magisch wie er begonnen hatte, so menschlich hielt er weiter. Und fiel dabei einem Phänomen zum Opfer, dass schon Oliver Kahn erlebt hatte. Auch Kahn hatte durch überirdische Paraden den Titan-Status erhalten und wurde fortan nur noch danach bewertet. Es ist eben das Schicksal eines jeden Sportlers nur an seinen besten Leistungen gemessen zu werden. Und weil Drobnys Maßstab in Bochum Kahnsche Höhen erreicht hatte und diese beim ersten Saisonspiel in Unterhaching zementiert wurden, kam nach dem ersten, sehr menschlichen, Jahr Unruhe auf. Selbst ich – der nun wirklich kein Fan von Christian Fiedler ist – beteiligte mich daran. Freunde, die mich seit Jahren kannten und meine (nicht immer sachliche) Kritik an der mangelnden Strafraumbeherrschung Fiedlers mitbekommen hatten, wunderten sich plötzlich darüber, dass ich in Erwägung zog, der CDU-Mann könnte die bessere Wahl sein (ähm…nein). Doch da ich zum großen Glück dieses/meines Vereins nicht der Trainer bin, blieb Drobny die Nummer Eins.

In der laufenden Saison ist er nun wieder dort, wo er damals schon war. Die Messlatte liegt wieder oben und Drobny, mit 29 gerade am Anfang des besten Torhüter-Alters, scheint die Stärke zu haben, sich nicht nur an ihr zu messen, sondern sie sogar Stück für Stück noch ein bisschen höher zu legen. Einen großen Anteil daran hat mit Sicherheit auch das Torwarttraining mit Enver Maric. Drobny hielt es zunächst für zu technisch, fand es wohl langweilig, immer gleiche Bälle immer und immer wieder zu fangen. Marics Philosophie ist es aber, dass ein Torwart die gleichen Bewegungsabläufe immer und immer wieder durchspielen muss, um sie zu perfektionieren. Als Drobny das verinnerlicht hatte, wurde er zu dem Torwart, der er schon damals war – allerdings ohne an diesem Punkt stehen zu bleiben.

Drobny hat nun eine halbe Saison überragende Leistungen gezeigt. Er wird – da bin ich mir sicher – sie in der Rückrunde bestätigen. Weil er gelernt hat, wie die Bundesliga, wie seine Mannschaft, wie ER funktioniert. Nur noch ganz selten fallen seine motorisch ungelenken Bewegungen auf, die eines Profisportlers eigentlich unwürdig sind. Aber entscheidend war es ja noch nie, wie man dabei aussieht, wenn man die Bälle hält. Hauptsache ist, man hält die Bälle. Mit dieser Philosophie wird man schließlich auch umjubelter Nationaltorhüter (obwohl Rene Adler auch in der B-Note abräumen würde…).

Die Entwicklung von Herthas Nummer Eins von einem Torwart, der große Sprünge versprach, damit aber anfangs nicht einmal bei den Bundesjugendspielen etwas gerissen hätte, zu einem Torwart, dem sein Trainer zutraut, übers Wasser gehen zu können, hat mir nicht nur imponiert, sondern auch gezeigt, dass man vor allem im Sport mit Vertrauen sehr viel erreichen kann. Drobnys Geschichte sollte man vielleicht auch mal allen Kritikern von Michael Rensing erzählen. Die Bayern würden einen großen Fehler machen, ihn schon nach der ersten – „nur“ durchwachsenen“ – Saison abzugeben.

Update: Drobny wurde vom Kicker hinter René Adler zum zweitbesten Bundesligakeeper der Hinrunde gewählt. Im Text wird er allerdings mit keinem Wort erwähnt.

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Von Schulden und Begehrlichkeiten

16. Dezember 2008

Nehmen wir mal an, ich will einen DVD-Abend veranstalten und dafür in meinen vier Wänden für Kinoatmosphäre sorgen. Ich benötige dafür einen Beamer und eine Dolby-Surround-Anlage. Die Wand ist schon vorhanden, da ich seit meinem Einzug nichts gegen die weiße Krankenhaus-Stilistik getan habe, außer ein paar Bilder aufzuhängen. Sie ist weiß. Ich schaue mich also um, wo bekomme ich möglichst günstig einen Beamer her und wo eine Anlage, die in den entscheidenden Momenten Gänsehaut verursacht? Für den Beamer mache ich sehr schnell eine Agentur ausfindig, die zwar nicht billig ist, aber bezahlbar. Ich leihe mir von dort ein Traumgerät, dass ich mir – würde ich es kaufen wollen – nicht leisten könnte. Als nächstes sorge ich für den Ton, ein Geschäft bietet an, eine zum Kauf stehende Anlage zunächst einmal zwei Tage auszuprobieren. Lediglich eine Anzahlung ist vonnöten, die ich im Anschluss wiederbekäme, sollte ich mich gegen sie entscheiden. Ich bin perfekt ausgestattet, meine Gäste sind begeistert und nehmen mit einigem Erstaunen mein kleines Heimkino zur Kenntnis. Man fragt nicht, wo die Geräte herkommen, man nimmt sie einfach so hin und regt an, doch nun in regelmäßigen Abständen Kino-Abende in meinem Wohnzimmer zu veranstalten. Ich weiche mit einem „Mal sehen“ aus und überschlage im Kopf, was es mich kosten würde, den Standard zu halten und womöglich hier und da noch zu verbessern (Stichwort: Beqeumes Sofa mit Platz für alle). Ich merke allerdings schnell, dass das meinen finanziellen Horizont übersteigt. Trotzdem sage ich kommenden Abenden nicht ab, sondern ermutige sogar zu Terminvorschlägen. Ich lebe über meine Verhältnisse.

Genauso scheint es Hertha BSC zurzeit zu ergehen. Mit Leih-Spielern wie Andrey Woronin, der vom FC Liverpool – dem aktuellen Tabellenführer der reichsten Liga der Welt – gekommen ist und Cicero, der immernoch seinem Ex-Klub Fluminense Rio de Janeiro gehört, hat sich der Berliner Bundesligist an die Tabellenspitze gespielt. Woronin würde das Gehaltsgefüge in neue Dimensionen heben, wenn Liverpool nicht einen Anteil davon bezahlen würde und Cicero soll etwas mehr als drei Millionen Euro kosten. Alles Geld, das Hertha in Zeiten der Wirtschaftskrise nicht mal eben so ausgeben kann. Das wird vor allem dann deutlich, wenn man sich die Transferbilanz der letzten Jahre anschaut.

Als der Verein endlich einmal auch finanziell von seiner Jugendarbeit profitierte, also in loser Reihenfolge die Spieler Kevin-Prince Boateng, Malik Fathi, Jerome Boateng und Christopher Schorch für knapp 14 Millionen Euro verkaufte und zusätzlich Gilberto und Christian Gimenez für insgesamt etwa 5 Millionen loswurde, war dringend benötigtes Kapital endlich vorhanden, um dem neuen Trainer eine Mannschaft nach seinen Vorstellungen zusammenzustellen. Mit den Brasilianern Raffael und Lucio, den Schweizern von Bergen und Lustenberger, dem Serben Kacar, dem Amerikaner Arguez und dem ausgeliehenen Tschechen Skacel wurden bereits in der letzten Saison mehr als 12 Millionen reinvestiert.

In diesem Jahr gelang es dem Manager dann immerhin noch einmal knapp 3 Millionen Euro für die Spieler Okronkwo, Lima, Lakic und Cubukcu einzunehmen. Dem gegenüber stehen allerdings Ausgaben für die Stürmer Chermiti und Domovchyiski, die Verteidiger Kaka und Rodnei, sowie Mittelfeldspieler Nicu und die Leihgebür für Cicero – alles zusammen etwas mehr als 6 Millionen Euro. Hinzu kommt das Gehalt von Andrey Woronin, das allerdings, wie schon erwähnt, von Liverpool mitgetragen wird. Unter dem Strich bleibt von den Transfereinnahmen nichts mehr übrig, im Gegenteil. Und da Hertha nach wie vor mit mal mehr, mal weniger als 30 Millionen Euro in der Kreide steht und wegen Vorab-Deals in Zukunft keine großen Einnahmen zu verzeichnen hat, sind große Sprünge nicht unbedingt geboten.

In diese Situation hinein spielt Hertha die beste Hinrunde der Vereinsgeschichte. Das weckt Begehrlichkeiten. Man darf allerdings hoffen, dass die Hertha-Oberen aus den Fehlern von damals, den Zeiten der Qualifikation zur Champions League, gelernt haben. Das ein Lernprozess eingesetzt hat, zeigt zumindest schon der Leih-Vertrag von Cicero. Der Brasilianer ist an Hertha bis zum Jahr 2010 ausgeliehen. Danach kann Manager Hoeneß – sofern er dann noch im Amt ist – die Kaufoption ziehen. Der Verein hat also noch bis zur WM in Südafrika Zeit, die etwas mehr als drei Millionen Euro für den neben Kacar im Mittelfeld überragenden Mann der Hinrunde aufzutreiben. Das sollte auch angesichts der positiven Entwicklung der Mannschaft nicht das Problem sein. Viel schlimmer ist in Berlin der neue TV-Vertrag aufgenommen worden, nach dem Hertha 7,5 Millionen anscheinend eingeplante Euros fehlen. Da kann man sich wieder fragen: Warum plant der Verein mit Einnahmen aus Verträgen, die zum Zeitpunkt der Planung noch nicht geschlossen waren? Was die Peanuts aus dem UEFA-Cup angeht, ist man doch auch immer so vorsichtig herangegangen und hat nur die erste Runde in die Bilanzvorschau eingerechnet…

Jetzt muss also wieder gespart werden und die Experten um Finanzboss Schiller haben sich Erstes an den Personaletat gesetzt. Dieser ist mit kalkulierten 31 Millionen Euro für einen ambitionierten deutschen Erstligisten schon erstaunlich klein. Wie verträgt sich also das ohnehin schon hohe Anspruchsdenken der sportlichen Führung mit den finanziellen Möglichkeiten des Vereins? Es scheint fast so, als gingen die Ansichten da weit auseinander. Es stellt sich die Frage: Wie soll man gleichzeitig einen der Mannschaft unheimich guttuenden und keinesfalls abwanderungswilligen Andrey Woronin halten, den Vertrag mit Kapitän Arne Friedrich verlängern, die Kaufoption für Cicero ziehen, möglicherweise doch Marko Pantelic behalten und die Mannschaft zusätzlich noch punktuell verstärken? „Alles geht nicht“ hat Präsident Werner Gegenbauer vor ein paar Tagen gesagt. Also heißt es jetzt Prioritäten zu setzen.

Daher wird Publikumsliebling Pantelic den Verein – wenn irgendwie möglich – bereits im Winter verlassen. Das freiwerdende Gehalt (1,5 Millionen) wird brüderlich auf den neuen Brasilianer Junior Cesar und Arne Friedrich verteilt, der dann neuer Spitzenverdiener ist. Die hoffentlich hohe Ablöse wird dann in die Bilanz gesteckt. Desweiteren muss Hoeneß hoffen, dass sowohl der Bulgare Domovchyski, als auch der Tunesier Chermiti in der Rückrunde voll einschlagen, um einen Verbleib von Woronin nicht zwingend notwendig zu machen. Das ist nicht unmöglich, aber dafür muss wirklich alles passen – so wie in der Hinrunde. Und damit kommen wir zum Dilemma der Berliner Situation. Die Mannschaft kann fantastischen Fußball spielen, sie kann hinten sicher stehen und vorne toll kombinieren. Sie kann Tore schießen und die taktischen Vorgaben des Trainers umsetzen. Sie kann das aber auch alles einfach nicht tun, wie in den Spielen gegen Bayern (1:4), Bremen (1:5), Cottbus (0:1) und Schalke (0:1). Wie in den Spielen gegen Bielefeld (1:1), Leverkusen (1:0) und Hamburg (2:1). Wie immer wieder vereinzelt in fast allen anderen Spielen außer dem Auftaktsieg in Frankfurt (2:0). Immer wieder zeigt dieses Team Schwächen, die in anderen Zeiten, wenn das Glück gerade mal kein Hertha-Trikot anhat, zu Niederlagen führen können. Und die Frage aller Fragen ist, ob sie sich – so wie in der Hinrunde – aus diesen Situationen auch dann noch befreien kann, wenn Spieler wie Pantelic oder Woronin nicht mehr dabei sind.

Der Mann, der mir Hoffnung macht, dass es auch ohne sie gelingen kann, sitzt bei Hertha auf der Bank und heißt Lucien Favre. Was der Schweizer in Berlin leistet, ist mit Worten eigentlich nicht zu beschreiben. Denn auch wenn Hertha in dieser Hinrunde wirklich viel Glück hatte, hat das Auftreten der Mannschaft in anderen Situationen als den oben beschriebenen immer wieder gezeigt, dass dieses Glück nicht geschenkt, sondern erarbeitet ist. Es steckt System dahinter, wie Hertha agiert. Wie Hertha kombiniert. Und defensiv verschiebt. Vielleicht schafft dieser in der Öffentlichkeit manchmal ein wenig bieder wirkende Schweizer es tatsächlich, in Berlin nicht nur ein Personaletatschrumpfen, einen Publikumsliebling-Transfer, eine Führungs- und die Finanzkrise zu überstehen, sondern sogar den doch sehr optimistischen Drei-Jahresplan von Manager Hoeneß zu erreichen. Ich sage es gleich vorweg: Ich bin ihm nicht böse, wenn er das Ziel, um die Meisterschaft mitzuspielen, schon in diesem Jahr erreicht. Aber selbst wenn es nicht mal in der nächsten Saison damit klappt, hat Favre in Berlin etwas geschafft, was ich seit ich Hertha-Fan bin, hier noch nicht gesehen habe: Eine modern spielende und taktisch auf hohem Niveau agierende Mannschaft zusammenzustellen, bei der es richtig Spaß macht, zuzuschauen.

Vielleicht merken die Berliner Zuschauer das ja in der Rückrunde auch irgendwann mal und kommen nicht nur ins Stadion wenn der Gegner Hoffenheim, Bayern, Istanbul oder Liverpool heißt.

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Chronistenpflicht

13. Dezember 2008

Nur der Vollständigkeit halber:

Lieber Herr Otto,

die Jury unseres Auswahlverfahrens hat gestern Abend entschieden. Es
tut uns leid Ihnen mitteilen zu müssen, dass Sie nicht für das
Volontärpraktikum 2009/2010 vorgeschlagen wurden. Bitte werten Sie
die Entscheidung nicht als negative Beurteilung. Ihre Bewerbung hat bei
der Jury Beachtung und Anerkennung gefunden. Wir danken Ihnen für Ihre
Mitwirkung an diesem Auswahlverfahren und für die Zeit, die Sie
investiert haben.

Wie Herr ********** bereits erwähnte, können wir Ihnen leider keine
Feedback-Gespräche anbieten.

Ihre Unterlagen erhalten Sie in den nächsten Tagen zurück.

Wir wünschen Ihnen alles Gute und viel Erfolg für Ihre berufliche
Zukunft!

Mit besten Grüßen
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Die Demontage von Köln

10. Dezember 2008

oder mein ganz persönlicher R(h)einfall.

Danke an alle Glückwünschenden. Es hat leider nichts geholfen…

Ankunft in Köln

16.41
Wenn das Wetter als Willkommensgruß gemeint ist, wird das morgen nichts: Es regnet eine Mischung aus Schnee und Regen, dichter Nebel steht über der Stadt. Die Suche nach meinem Hotel erweist sich dank GoogleMaps als zielstrebiger Spaziergang. Weil – wie in jeder Großstadt – auch in Köln überall gebaut wird, dauert es trotzdem etwas länger, weil ich für das Überschreiten einer Kreuzung drei fußgängerfeindliche Ampelphasen abwarten muss. Die Abwicklung im Hotel „Europäischer Hof“ (wie immer sind die Bilder im Netz schöner als die Realität) verläuft erfreulich unkompliziert und schnell. Bevor ich mich versehe, bin ich mit der Einsamkeit und Stille des Hotelzimmers konfrontiert. Eben noch bestimmte diese Stadt meinen Pulsschlag, jetzt vernehme ich nur noch sehr weit entfernt die Geräusche der Straße.  Erste Handlung: Fernseher an. Ich mag diese Ruhe nicht.

Danach sofort die Sachen für morgen rausgelegt. Das Jackett hat die Reise in der für solche Maßnahmen nicht geeigneten Sporttasche gut überlebt. Ich notiere: Business-Trolli in Erwägung ziehen. Das neue Hemd hat allerdings immer noch Falten und das Hotel nicht – wie erhofft – einen Bügelservice. Ich notiere: Bügeln lernen, verwerfe das aber kurze Zeit später  wieder und beschließe später soviel Geld zu verdienen, dass das jemand für mich macht. Für morgen muss der WDR halt mit Falten leben. Vielleicht kann ich das als Symbol für veraltete Strukturen irgendwo einbringen. In der ARD läuft eine dieser Zoo-Sendungen. Ich will erst auf den WDR umschalten, wobei mir wieder einfällt, was ich eigentlich machen wollte: Den Weg für morgen früh schon mal auschecken.

19.16
Auf der Karte sieht es so aus, als wären es vom Hotel zum Kolpinghaus nur drei Minuten. Nun der Schock: Es sind nur Zwei! Was ich mit meiner zusätzlichen Zeit morgen früh anfangen soll, weiß ich noch nicht, überlege allerdings aus der geplanten halbstündigen Dusche, die ich morgen früh nehmen wollte, um die 42 Euro Hotelkosten wieder reinzuholen, eine 31-minütige Session zu machen. Je nach dem, wie lange das Wasser warm ist…

Die Kölner Innenstadt braucht sich hinter Berlin nicht zu verstecken. Zum ersten Mal seit ich aus meiner Heimatstadt ausgezogen bin, fühle ich mich wieder wie in einer richtigen Großstadt. Ich habe mich einfach treiben lassen, mir noch ein hautenges Hemd für „unten drunter“ (C&A, 2 Stück. 9,00 Euro) und zusätzlich zu meinem Nivea- noch ein Rexona men-Deo (Ihr Platz, 2,39 Euro) gekauft. Sicher ist sicher. Dann war ich im Kölner Dom und habe wirklich überlegt, ob es angebracht ist, mir an höchster Stelle Glück für den Auswahltag zu besorgen. Ich kam zu dem Schluss, dass es nicht angebracht war und habe stattdessen für meine Familie eine Kerze angezündet. Ich bin nicht besonders gläubig, aber wenn man in diesem wunderschönen Bau umherläuft, fühlt man den Grund dafür, warum es so viele Menschen sind.

Seelisch zufrieden, nun aber mit reichlich Hunger im Bauch stattete ich mich bei Starbucks mit einer Toffee Nut Latte (Tall für 3,90 Euro) und einem Skinny Blueberry Muffin (2,00 Euro) aus und machte mich auf dem Rückweg zum Hotel. Auf dem Weg dahin hielt ich nach dem WDR-Rundfunkhaus Ausschau und fiel buchstäblich hinein, als ich gerade eine Karte suchen wollte, um mich nach dem Haus zu erkundigen. Ich hielt mich dort aber nicht so lange auf, griff mir lediglich alle verfügbaren Prospekte als Einschlaflektüre und bewunderte noch kurz den Pater Noster, bevor ich mich dann endgültig auf den Weg zum Hotel machte.

Ich war nicht völlig orientierungslos, aber schon ein wenig neben der Spur und stolperte plötzlich über ein paar Leuchtbuchstaben: Kolping International. Das konnte aber nicht sein, weil das Kolpinghaus, das ich mir im Internet angeschaut hatte und das auch in der Mail der netten Dame vom WDR verlinkt war, woanders stand. Verunsicherung. Stehe ich morgen womöglich am falschen Ort? Was nun? Erstmal zum Hotel, dort „Türkisch für Anfänger“ gucken und essen. Anschließend muss ich klären, wo ich nun wirklich hin muss.

0.23
Das Nachtmagazin in der ARD hab ich noch mitgenommen, vorher natürlich geklärt, dass ich ursprünglich richtig gelegen habe mit der Adresse des Kolpinghauses. In den mehr als vier Stunden, die ich nun auf meinem Zimmer liege, habe ich viele Informationen aufgenommen, mich über den WDR und seine Protagonisten informiert und nebenbei ab und an auf den Fernseher geschaut. Die Süddeutsche, die Taz und die WAZ habe ich überflogen und bin mir nach Durchsicht der Tagesschau und des Nachtmagazins sicher, dass die Themen des morgigen Tages die Wiedereinführung der Pendlerpauschale ab dem 20sten Kilometer, die lebenslange Haftstrafe für den Kofferbomber von Köln, die neuen Ergebnisse der IGLU-Studie (wie gut lesen unsere Kinder?), der Dioxin-Fleisch-Skandal (jetzt auch Rindfleisch betroffen) und die Beerdigung des in Griechenland erschossenen Jugendlichen in Verbindung mit weiteren Krawallen sein werden. Je nach Umfang der zusammen zu stellenden Sendung rutscht dann noch was raus oder rein (Bremen nach dem 2:1 gegen Inter im Uefa Cup oder Edeka schluckt Plus).

Ich spüre, dass meine Augen Dunkelheit fordern und werde ihnen sogleich gehorchen. Ich weiß nicht, ob ich bereit bin für morgen, aber ich bin zuversichtlich, weil ich mich ein wenig so fühle, wie vor den Abi-Klausuren. Nicht wirklich sicher, ob ich das Richtige gelernt und vorbereitet habe, aber schon optimistisch, dass es dann doch irgendwie reicht. Und im Grunde genommen kommt es eh auf mich selbst an. Wie sagen das die Bundesligaspieler immer? „Wenn ich topfit bin, kommt eh niemand an mir vorbei.“ Mit der Devise gehe ich da morgen rein.

0.32
Hab ich schon gesagt, dass ich die Ruhe nicht mag? Ich verfluche mich gerade dafür, kein Hörspiel oder eine DVD dabei zu haben, die ich in den Laptop schmeißen kann, um dabei einschlafen zu können. Ich fühle mich nicht wohl so alleine. Man denkt zuviel nach in solchen Situationen. Und manchmal fallen einem Dinge ein, die man nicht denken will. Und dann kann man erst recht nicht einschlafen. Was würde ich für eine Benjamin Blümchen Kassette geben…

Der Auswahltag

7.00
Der Wecker geht und ich bin wach. Hellwach. Erstaunlicherweise habe ich gut geschlafen, trotz der wachsenden Anspannung, die – ja, verdammt noch mal – da ist. Die Dusche wird schneller genommen, als angekündigt. Ich bin halt ein rechtschaffener Mensch und nicht verschwenderisch. Dann der schwerste Akt: Die Haare. Meine Frisur ist nicht darauf ausgelegt, gemacht zu werden. Normalerweise stehe ich morgens auf, gehe mir einmal durch die Haare oder setze eine Mütze auf. Heute aber muss sie so sitzen, wie auf dem Bewerbungsfoto. Es gelingt mir tatsächlich nach gut zehn Minuten. Ich bin bereit.

Das Auschecken aus dem Hotel geht wieder sehr schnell. Vielen Dank und auf Wiedersehen. Ich suche ein Cafe, in dem ich erstens einen Kaffee, zweitens was für den kleinen Hunger und drittens eine oder mehrere Zeitungen bekomme. Letzteres erledigt sich durch diese in Köln sehr weit verbreiteten Verteilerkästen vom Kölner Stadtanzeiger, der Kölner Rundschau und der BILD. Sonst kaufe ich das Boulevard-Blatt ja nicht, aber heute brauche ich eine gewisse Orientierung, was die Krawall-Presse „auf der Eins“  – also als Topthema – hat. Der KSta (1,10 Euro) und die BILD (0,60 Euro) wandern also in meine viel zu schwere Sporttasche und ich in das nächste Starbucks. Dieses Mal leiste ich mir kein exklusives Getränk, sondern einen grundsoliden Kaffee Grande (2,10 Euro) und einen Bagel mit Frischkäse (2,80 Euro). Falls jemand fragt, ob ich zuviel Geld habe: Nein, der Nikolaus in Person meiner Mutter hat mir mehrere Gutscheine geschenkt.

Nach Durchsicht der Presse, Kaffee- und Bagelgenuss ist es 9.15 Uhr. Meine Zeitplanung funktioniert perfekt. Auf ins Hotel.

9.32
Der Auswahltag beginnt. Ich sitze mit neun anderen Bewerbern in einem Raum mit vielen Laptops. Ich denke: Jetzt kommt die Nachrichten-Übung. Doch nach der Einleitung folgt: Die Redaktionssitzung. Eigentlich werfen mich kurzfristige Planänderungen nicht um, aber irgendwie wäre mir die andere Reihenfolge lieber gewesen. Ich bin morgens noch nicht so kommunikativ. Nun gut, Redaktionssitzung also. Der Raum ist nicht besonders groß, in der Mitte mehrere Tische in U-Form mit unseren Namensschildchen. An den Wänden sitzen die fünf Juroren, einer hat eine Glatze, wie D! sieht er aber nicht aus. Der Vergleich drängt sich deshalb auf, weil die Situation hier einfach wie ein Casting anmutet. Wir müssen uns in fiktiven Situationen beweisen und darin möglichst viel von unserer Persönlichkeit nach außen kehren. Das ist schwer, was ich merke, als die Konferenz beginnt.

Das Thema darf ich ziehen, weil der Leiter des Auswahltages gerne eine männliche Person hätte, weil es am Tag zuvor eine weibliche war. Man versucht wirklich alles um den nach dem letzten Auswahlverfahren entstandenen Eindruck, Frauen würden bevorzugt (neun von zehn weibliche Bewerber wurden 2007 genommen), entschieden entgegenzutreten. „Quoten gibt es bei uns nicht“, hatte man uns vorher schon versichert.

Ich ziehe also. Und greife tief ins Klo wie man bei uns sagt. Das Thema: Kanzlerin Merkel hat sich bereit erklärt, an einer einstündigen Sendung im WDR teilzunehmen. Das Format ist nicht vorgegeben, das Thema hingegen schon: Die Finanzkrise. Na toll.

Es geht also los. Ich erkläre mich schnell bereit, mich an die Tafel zu stellen, weil mir schon schwant, dass ich zu diesem Thema nicht viel Konstruktives beitragen werde. Klar, die Finanzkrise ist in meinem Hinterkopf, ich habe einige Infos dazu und ich werde in der kommenden Stunde (soviel Zeit haben wir) auch das ein oder andere einwerfen, was mir dazu einfällt. Aber ein „Jahresausblick 2009“, wie ihn die Gruppe vom Vortag hatte, hätte mir wesentlich besser gelegen. Zumal man den Sport dabei nicht hätte aussparen dürfen. Am Ende kommen wir zu einem „Hart-aber-fair“-ähnlichen Format mit Einspielern zur Wirtschaftskrise aus Sicht der Bürger NRWs. Wir sind ja schließlich der WDR. Die Banken (eine Omma, die ihr Erspartes verloren hat und ein Student, dessen Kreditrate in die Höhe geschnellt ist), die Auto-Industrie (ein Opel-Werkmitarbeiter), das Handwerk (nicht genau bestimmt) und der Einzelhandel (Vertreter vom boomenden Kölner Weihnachtsmarkt als positiven Ausblick) kommen in die Sendung. Es gibt außerdem eine Doppelmoderation. Die Sendung steht.

Frage: Wer würde sich diese Sendung am Freitagabend anschauen? Einige nicken mutig, andere zögerlich. Ich denke: Da läuft Fußball, also eher nicht. Bin ich deshalb ein schlechter Mensch?

Wir sollen uns einschätzen, unsere Rolle in der Konferenz benennen. Ich sage zunächst ehrlich, dass es nicht mein Thema war, dass ich normalerweise Zeit benötige, mich in ein Thema – das nicht meins ist – einzuarbeiten und ich mich deshalb auch gleich an die Tafel gestellt habe. Ich habe versucht, mich dennoch einzubringen und – jetzt kommt das Fatale – glaube, dass mir das (ich war sehr kleinlaut und habe noch die Hoffnung, dass das niemand verstanden hat) ganz gut gelungen ist. Ein fataler Fehler: Kurz nach der Konferenz fällt mir ein, dass ich nicht gesagt habe, was ich dachte: Das ich schlecht war und mich nicht wohl gefühlt habe. Dass ich zwar versucht habe, etwas Konstruktives beizutragen, dass es mir aber nie gelungen ist. Dass ich die Chance nicht genutzt habe.

11.47
Es gibt Essen. Um kurz vor 12. Ich fühle mich wie im Krankenhaus. Nur das Essen ist besser. Und die Gesprächspartner, auch wenn es auffällt, dass die Anspannung enorm ist. Ich esse Reis mit Curry, etwas überbackenen Blumenkohl, Kroketten und Salat. Der Nachschlag besteht aus Lachs mit Reis, nur wenig. Anschließend noch Rote Grütze mit Vanillesoße. Man muss nehmen, was man kriegt.

12.47
Die Nachrichtenübung beginnt. Bis 15.30 Uhr haben wir nun Zeit aus vier Händen voll Meldungen einen vier Minuten langen Nachrichtenblock zusammenzuschneiden. Ich bin zuversichtlich, denn der Wust an Meldungen sieht nicht so unüberblickbar und beliebig aus, wie der im extra von der Uni dafür eingerichteten Seminar. Doch dann der Schock: Der Nachrichtenblock soll bei WDR 4 laufen. Das Seminar behandelte Nachrichten von 1Live. Ich sterbe kurz einen Tod und beschließe dann mich mit der Situation zu arrangieren. WDR 4 ist in Berlin vergleichbar mit 88,8, dem Radio meiner Mutter. Ich kenne die Nachrichten von dort und versuche mich ein wenig, daran zu orientieren. Es gelingt mir einigermaßen, ob meine Ordnung am Ende die richtige war kann ich nicht beurteilen. Ganz falsch, glaube ich, lag ich mit meiner Topmeldung aus Griechenland nicht. Auch wenn die Topmeldung eigentlich eine Nichtmeldung war, aber manchmal ist es eben wichtig, wenn in einem Gebiet, das gestern noch von Krawallen gesäumt war, plötzlich Ruhe herrscht.

15.27
Ich bin nicht erleichtert. Im Gegenteil. Die Anspannung steigt. Ich sitze drei Meter von dem Raum entfernt, in dem nachher mein Einzelgespräch stattfinden wird. Ich bin der Letzte im Bunde, was nicht an meinem bisherigen Abschneiden, sondern an meinem Nachnamen liegt. Ich denke an eine Freundin von mir, die Zimmermann mit Nachnamen heißt oder einen Kumpel mit dem Nachnamen Spöcker. Die wären alle nach mir dran gewesen, sind aber an anderen Tagen dran. Also sitze ich hier und sehe einen nach dem anderen in diesen Raum gehen, der über die Zukunft von uns allen entscheiden kann. Danach sind sie eigentlich alle recht glücklich, ich kann aber nicht zuordnen, ob es wegen des Gespräches ist oder weil der Tag für sie nun zu ende ist. Vier sind noch vor mir dran. Ich muss noch mehr als eine Stunde warten.

16.32
Der Vorletzte braucht erstaunlich lange. Meine Dortmunder Kollegen sind alle durch und vergnügen sich bereits auf dem Kölner Weihnachtsmarkt. Der männliche Leipziger ist nun schon mehr als 15 Minuten in diesem Raum. Bisher ging das irgendwie immer schneller. Die weibliche Leipzigern – beide sind übrigens nicht wirklich aus Leipzig, sondern studieren nur dort – ist noch vor mir dran, dann beginnen meine 20 Minuten. Ich habe mir viele Dinge überlegt, die ich dort sagen wollte, aber im Enddefekt wird es darauf ankommen, was ich dann wirklich da drin von mir gebe. Ich muss dieses Mal sagen, was in mir vorgeht. Nicht so, wie in der Konferenz. Meinen (wahnsinnig lustigen) Einstiegssatz: „Sie haben mich gerufen, hier bin ich, was kann ich für sie tun“ werde ich mir verkneifen. Dann aber meine Show abliefern…ich meine so sein wie ich bin.

16.39
Der Leipziger ist da. Die Leipzigerin geht in den Raum. Er ist erleichtert. Und muss morgen zum MDR. Die Leipziger dürfen sich nämlich – im Gegensatz zu uns – bei mehreren Medien bewerben. Ich wittere einen Skandal, aber der Leipziger ist zu nett, um eine Beschwerde in Leipzig anzustrengen. Er soll sein Ding machen und ich meins. Vielleicht landen wir ja am Ende beide beim WDR. Gleich bin ich dran. Der Blutdruck steigt.

17.59
Ich sitze im NRW_Express zurück nach Dortmund. Um mich herum lauter Studenten und Leute, die bereits im Arbeitsleben stehen. Die es schon geschafft haben. Oder dabei sind. Ich dagegen habe gar nichts geschafft. Ich habe versagt. Habe gestammelt, bin über meine Worte gefallen (sofern sie mir denn überhaupt einfielen) und hatte mehrere Blackouts. Wer keine Antwort auf die Frage hat, warum der WDR ihn nehmen soll, hat es auch nicht verdient genommen zu werden. Die richtige Antwort wäre vermutlich so etwas gewesen wie: „Weil ich Potenzial habe und Ihnen die einmalige Möglichkeit gebe, mich zu formen. Wenn Sie es nicht tun, tut es jemand anderes.“ Oder so. Aber nicht: „……………………………..also……………………….naja……………………………….weil……………………………………“ usw. Ich hab dann irgendwas gestammelt von wegen, weil ich mich in Themen reinsuhlen kann oder so. Ich hab es schon wieder vergessen. Es war ein Gespräch zum Vergessen. Mir wurden Fragen gestellt, auf die ich hätte vorbereitet sein können. „Braucht ein Fußball-Klub eine Seite für Frauen?“ Ich stammele was von ja, nein, ja, nein und lege mich am Ende auf nein fest. Weil Frauen Fußball zwar nicht völlig anders gucken, als Männer, aber…man muss da ja auch unterscheiden, zwischen solchen, die sachkundig sind und…aber das betrifft ja auch Männer also…nein. DAS nenn ich mal ne schlüssige Argumentation. Großer Sport, Herr Otto.

Am Ende gab es keine Fragen mehr. Ich hatte auch keine. Tat aber so. „Wenn Sie noch eine Frage stellen oder einen Themenaspekt, der ihrer Meinung nach zu kurz gekommen ist, ansprechen wollen, haben Sie jetzt die Möglichkeit.“ Ich suche in meinem Kopf und widerlege meine eigene These, die besagt, dass ein Mensch eigentlich nicht Nichts denken kann. Da sollte ich mal drüber nachdenken.

Es ist ein düsterer Tag für mich und ich gebe auch zu, dass mich das Ganze mehr mitnimmt, als ich dachte. Für mich war der WDR zunächst nur eine Option, bei einem großen öffentlich-rechtlichen Medienunternehmen zu landen (Jobsicherheit.de) und allen zu bestätigen, was ich (zurecht?) nie so richtig wahrhaben wollte: Das ich ein hochtalentierter Journalist bin. Fakt ist: Der WDR war für mich in den letzten Wochen dann doch mehr, als eine Option. Er war das Idealbild der Ausbildungsstätte. Das Problem ist, dass ich das zu spät gemerkt habe und deshalb unvorbereitet war. Ich kannte weder Strukturen, noch einzelne Sendungen. Ich bin mit dem RBB aufgewachsen, dem ich mich viel näher fühle. Jedenfalls steht nun nach diesem aufreibendem Tag eines (so gut wie) fest: Beim WDR werde ich nicht ausgebildet. Am Freitag „bis 15 Uhr“ gibt es die Mail, die bei einigen vielen – und ich hoffe es trifft die Richtigen (und nicht mich)  – für Jubel sorgen wird. Ich werde mich nach einem für mich geeigneten Volontariat umschauen.

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Auf nach Köln

9. Dezember 2008

So, ich mache mich dann mal auf den Weg nach Köln, wo morgen beim WDR mein Auswahltag für das Volontariat stattfinden wird. Zusammen mit neun anderen Journalistik-Studenten (man munkelt es seien auch einige aus Leipzig dabei) werde ich an diesem Mittwoch versuchen, ein besonders gutes Bild von mir an die WDR-Entscheider zu transportieren. Das heißt für mich soviel wie: Ich werde ich selbst sein. Verstellen bringt meiner Meinung nach nichts.

Zunächst wird es darum gehen eine Nachrichten-Sendung zusammenzustellen. Aus Agentur-Meldungen. Da kommt Freude auf, ist aber natürlich grundsolide Basisarbeit, die jeder beherrschen muss. Routine hab ich darin noch nicht, aber ich wachse ja mit meinen Aufgaben und bin vor allem in Drucksituationen eher fähig, über mich hinauszuwachsen, als in anderen. Danach gibt es eine Redaktionssitzung. Alle Zehn versammeln sich um einen Tisch, bekommen ein Thema (Bsp. aus den letzten Jahren: Der WDR wird 40 – was machen wir?) und müssen am Ende ein Ergebnis präsentieren. Es wird interessant zu sehen sein, wie das abläuft und andere mit dieser künstlichen Situation umgehen. Zum Abschluss muss dann jeder noch einmal zum Rapport. Einzeln wird man dann in einen Raum mit vier bis sechs (genaue Zahlen gibt es wohl irgendwie nicht) WDR-Leuten gesperrt und muss alle Fragen möglichst kreativ beantworten, die einem so gestellt werden. Eine der möglichen Fragen: „Wie sahen Sie Ihre Rolle eben in der Redaktionskonferenz?“ Auch dem sehe ich recht gelassen entgegen, weiß aber natürlich nicht, wie ich reagiere, wenn eine Blackout-Frage gestellt wird, mit der ich nun wirklich nicht rechne. Der Vorteil: Ich rechne mit gar nichts und bin somit auf alles vorbereitet 😉

Selten habe ich mich übrigens so darüber geärgert, keine UMTS-Karte oder einen T-Online Hotspot-Zugang zu haben. Hätte gerne live von diesem Tag gebloggt (wenn das möglich gewesen wäre). Vielleicht haben sie da ja W-Lan. Auf in den Kampf…

P.S: Ein Nachsatz zum fehlenden Nachbericht vom Hertha-Spiel in Gelsenkirchen. Ich hielt es in den Tagen danach mit der Mannschaft: Mir fiel einfach nichts ein 😉

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Hoeneß schlägt Hoffenheim

5. Dezember 2008

Es kribbelt. Und zwar gewaltig. Anlass ist ausnahmsweise nicht das Hertha-Spiel auf Schalke, bei dem ich meine Mannschaft endlich einmal wieder live sehen kann. Sondern das Duell zwischen Platz Eins und Zwei, zwischen Gallien und Rom, zwischen Milliardärsdorf und Millionendorf, zwischen der TSG Hoffenheim und dem FC Bayern.

Die deutsche Fußballwelt freut sich auf ein vor der Saison nicht zu erwartendes Spitzenspiel. Auf der einen Seite der Aufsteiger, der auch mit viel Geld von Dietmar Hopp, aber vor allem mit einem intelligenten Spiel-, Scout- und Trainingssystem die Bundesliga auf den Kopf stellt. Auf der anderen Seite der Serienmeister, der mit neuem Trainer und irgendwann auch einmal alternativen Methoden am liebsten an die Erfolge der 70er Jahre anknüpfen will – sich also auch in Europa die Vormachtstellung erarbeiten möchte, in der er sich in Deutschland bereits wähnte. Doch während der FC Bayern daran arbeitete, drängte das Hoffenheimer Dorf plötzlich in den deutschen Fußballmarkt und sorgt dort aktuell für nicht mehr etwartete Konkurrenz wohl auch über diese Saison hinaus.

Den Bayern kommt dieses Spiel am Freitag (20.30, Premiere) gerade recht. Das Team von Ex-Bundestrainer Jürgen Klinsmann sieht sich so langsam im Leistungssoll und will der TSG die viel zu spitzen Hörner stutzen. Dabei benutzt man die alten Tricks, mit denen man in jedem Jahr den härtesten Widersacher verunsichert: Man redet sich stärker als man ist – in der Hoffnung, dass es der Gegner glaubt und sich eine gewisse Verunsicherung im Unterbewusstsein festsetzt. Deshalb sagt Uli Hoeneß in jedes Mikrofon, das man ihm entgegenstreckt – und entgegen vermutlich jeder Trainingslehre – dass Bayern die besseren Spieler habe und deshalb natürlich auch gewinne. Was soll er auch sonst sagen? Wer den besseren Fußball spielt, sieht ja jeder. Und wer momentan in der Liga den Hut auf hat, auch.

Insofern ist es eigentlich verwunderlich, dass Hoffenheim-Coach Rangnick überhaupt auf diese Anspielungen reagiert. Als Werder Bremen vor drei Jahren Deutscher Meister wurde, haben sowohl Spieler als auch Offizielle die bayrischen Verbalangriffe schlichtweg ignoriert und wurden so am Ende Meister. Durch einen Sieg in München übrigens, der Uli Hoeneß derart in Rage brachte, dass er all seine in den Jahrzehnten seiner Managerkarriere vorgetragenen Ansichten hinsichtlich Festgeld und Banksicherheit über Bord warf. Das Resultat ist eine Mannschaft, die in der Tat – rein von den Namen her – die besseren Einzelspieler als Hoffenheim besitzt, die aber bisher eben nur Zweiter ist. Erster ist Ralf Rangnick, der sich da oben wohl zu fühlen scheint. Wie damals im Sportstudio, als er die Viererkette erklärte und belächelt wurde, sitzt er heute auf dem Trainerstuhl in Hoffenheim und hat neben sich dieses unsichtbare Plakat, das er mit sich rumträgt und auf dem steht: Ich habs euch ja gesagt! Und wenn dann die Bayern in Person von Uli Hoeneß kommen und so tun, als wäre Hoffenheim nach wie vor nur ein neureiches Strohfeuer, das die Bayern mal eben austreten werden, dann kann sich selbst der sonst so sachliche Herr Rangnick nicht zurückhalten. Also feuert er ein paar Verbal-Salven zurück und begibt sich damit auf zu dieser Jahreszeit nicht unübliches dünnes Eis.

Denn eigentlich hat es Rangnick nicht nötig, darauf einzugehen. Hätte er einfach seinen Mund gehalten und die Angriffe aus München ignoriert, dann hätte er am Freitagabend genussvoll den Sieg seiner Mannschaft feiern können. Seinen Sieg. Und bei einer Niederlage hätte er einfach genussvoll auf die Tabelle verwiesen, um den Münchnern zu zeigen, wer trotzdem noch oben steht. So aber hat er sich auf das Niveau von Uli Hoeneß begeben und wird nach dem Spiel geknickt das triumphale Lächeln des Bayern-Managers aushalten müssen, weil es das deutsche Fußballgesetz so will, dass der FC Bayern die beste Mannschaft Deutschlands bleibt. Im Überschwang des Sieges wird Uli Hoeneß dann zu Ralf Rangnick gehen, ihm erst die Hand reichen um ihm im Anschluss daran dieses imaginäre Schild über den Kopf zu ziehen. Dann tritt Hoeneß vor die Kamera, zeigt auf den bedröppelten Rangnick und singt ins Mikrofon: „Ich habs euch doch gesagt!

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Scholl führt Favre vor

4. Dezember 2008

Mehmet Scholl war vor gar nicht allzu langer Zeit ein großer Fußballer. Scholl gewann zahlreiche deutsche Meisterschaften, den DFB- und Uefa-Pokal, die Champions League. Dass er die Nationalmannschaft nie zu einem Titel führte, lag eigentlich nur an seinen ständigen Verletzungen und dem Pech ausgerechnet dann einmal fit gewesen zu sein, als Erich Ribbeck Nationaltrainer war. Man kann trotzdem sagen, dass Scholl mit Fug und Recht von sich behaupten kann, zumindest mitgehalten zu haben. Am Mittwochabend – der mittlerweile 38-Jährige arbeitet als TV-Experte in der ARD – sagt Scholl viele, für einen TV-Experten ungewöhnliche Dinge. Zum Beispiel dies: „Es sieht so aus, als könnten zwei, drei Spieler von Hertha das Niveau nicht mitgehen.“

Da waren 45 Minuten gespielt im Uefa-Cup-Duell zwischen Hertha BSC und der HeimGastmannschaft von Galatasaray Istanbul und die Berliner hatten eine Lehrstunde des internationalen Fußballs bekommen. Dass es noch 0:0-Unentschieden stand, hatte Hertha nur seinem Torwart Jaroslav Drobny zu verdanken. Mehrfach musste der Tscheche den Ball vor dem Überschreiten der Torlinie retten, was ein Großteil der Fans im mit  62.612 gefüllten Olympiastadion mit dem türkischen Ausdruck für Enttäuschung quittierte. Die Berliner Fans hatten ihren türkischen Freunden das Stadion weitestgehend überlassen, sodass sich vor allem der Brasilianer Lincoln wie im heimischen Ali Sami Yen gefühlt haben muss. Der ehemalige Schalker gestaltete sich sein Spiel, als wollte er einen hämischen Gruß nach Enschede senden. Dort mangelte es seinen ehemaligen Kollegen wie schon zuletzt an kreativen Impulsen aus dem Mittelfeld – Schalke verlor mit 1:2.

Lincoln verlor nicht, was auch an den „zwei, drei“ Herthanern lag, die, laut Scholl, nicht mithalten konnten. Angesprochen fühlen dürften sich alte Bekannte wie Sofian Chahed, Mark Stein oder Patrick Ebert, wobei letzterer nach Verletzungspause sein erstes Spiel von Anfang machte und zu Beginn der Saison immer zu den besten Berlinern zählte. Doch wenn sich ein Trainer für die Viererkette entscheidet, dann braucht er auch starke, schnell den Ball verarbeitende und wieselflinke Außenverteidger vom Typ Lahm, Rafinha oder Beck. Hertha hat Sofian Chahed, der sicher oft unterbewertet wird, der aber trotzdem öfter Probleme hat einen Pass an den Mann zu bringen, als ein ukrainischer Schleuser. Und Hertha hat Mark Stein – Chaheds Gegenstück auf links. Hochtalentiert, aber noch lange nicht da, wo man als Außenverteidiger einer guten Mannschaft sein muss.

Eine große Mitschuld an der Niederlage muss sich auch Lucien Favre auf die schweizer Fahne schreiben lassen. Es war erstaunlich zu sehen, wie sich ein hochqualifizierter Fußball-Trainer bei der Analyse vor den TV-Kameras, welche – zugegebenermaßen – für ihn ungewohnt ist, um Kopf und Kragen redet. Scholl bemängelte die fehlende Aggressivität der Herthaner, Favre widersprach und schob die Niederlage auf die schwache Balleroberung. Dass beides unmittelbar zusammenhängt, versuchte Scholl dann zwar noch zu erklären, Favre blieb aber unbelehrbar. Dabei gab es einige Szenen, die genau dies bewiesen und vor allem zeigten, dass einige Spieler sich schon besser wähnten, als sie eigentlich sind. Beispiel Raffael: Der Brasilianer spielte bisher in der Schweiz, wo sehr kulturgemäß, ein eher gemächlicher Fußballstil geprägt wird. Um diesen in der Bundesliga abzulegen, hat Raffael fast ein Jahr gebraucht und dachte wohl, er wäre jetzt vollkommen. Doch was passiert, wenn der gegnerische Spieler nicht nach einem Haken wegbleibt, sondern nachsetzt, wie es die Türken mehrfach praktiziert haben, hat man gestern gesehen. Selten zuvor verlor der Brasilianer so viele Bälle im direkten Zweikampf.

Favre sollte dann erklären, wie es zu der Niederlage kam, erwähnte eine „Unterzahl im Mittelfeld“, woraufhin Scholl blitzschnell die Chance nutzte, um seine These einzuwerfen: „War es, weil ihr mit zwei Stürmern gespielt habt?“ Favre schüttelte zunächst den Kopf, abwehrend, fast pikiert. Nur um dann genau das zu bestätigen. Es stellt sich die Frage, warum er dann nicht früher reagiert hat? Favre wartete bis zur Halbzeit und brachte dann – statt einen Mann mehr ins Mittelfeld zu stellen – Steve von Bergen für den angeschlagenen Sofian Chahed. Hätte hier nicht die Chance auf eine Dreierkette bestanden, die einen Mann mehr im Mittelfeld bedeutet hätte?

Der mit Spannung erwarteten Frage, warum Favre Pantelic ausgewechselt habe, wich der Schweizer sehr uncharmant aus: „Ich musste etwas ändern, es gab keinen Grund.“ Natürlich gab es einen. Pantelic agierte unglücklich, hätte sich oft viel schneller vom Ball trennen müssen und entschied sich zu häufig für den Fernschuss, statt nochmal den Ball quer zu legen. Das hätte er – ohne den Streit neu anzufachen – erklären können. Und hätte vermutlich sogar etwas Schärfe aus der Diskussion genommen. So klang es wieder so, als musste der Serbe zuerst raus, weil er – Favre – ihn am wenigsten mag.

Interessant wäre es noch gewesen, eine Anmerkung Scholls aus der Halbzeitpause aufzugreifen. Dort hatte Scholl beobachtet, dass Hertha erst um 20.13 aus der Kabine gekommen war. International kundige Profis wissen, dass das Fenster zum Warmmachen bei Uefa-Spielen genau von 20.05. bis 20.35 Uhr geöffnet ist. Hertha hat also acht Minuten verschenkt, was Scholl nicht bewertete, sondern nur anmerkte, dass er es immer lieber mochte, wenn er ein paar Minuten Zeit hatte.

So blieben am Ende mehrere Erkenntnisse:

1. Vor dem 18. Dezember – dem Finalspiel um den Einzug in die KO-Runde in Piräus – sollte „internationale Härte“ auf dem Trainingsplan stehen. Denn wie Galatasaray den Berlinern immer wieder den Schneid abkaufte, war teilweise eine Vorführung.

2. Hertha braucht dringend neue Außenverteidiger bzw. Alternativen auf diesen Positionen. Mark Stein und Sofian Chahed können nicht den Ansprüchen von Favre genügen. Und Steve von Bergen sollte auf Stürmer umschulen. Rund um den eigenen Strafraum ist er eine zu große Gefahr.

3. Marko Pantelic und Andrey Woronin scheinen nicht zusammen zu passen. Das erinnerte an die Zeiten von Daei und Preetz. Pantelic muss sich außerdem öfter vom Ball trennen. Gegen Galatasaray war er ein Fremdkörper im Hertha-Spiel, machte nur sein eigenes Ding.

4. Hertha hat mal wieder eine Chance vergeben, sich deutschlandweit zu präsentieren. Als die Mannschaft plötzlich aufwachte und Riesenchancen, sowie zwei Elfmeterwürdige Szenen produzierte, waren vermutlich die Hälfte der Zuschauer schon zu Peter Zwegat übergelaufen. Die eher peinliche und sehr zugeknöpfte Vorstellung von Favre im Anschluss habe dann hoffentlich nur noch ich gesehen…

5. Mehmet Scholl ist eine Wohltat für die ARD!

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Ein Hauch von Champions League

2. Dezember 2008

Es war ein Mittwoch. Der Herbst kehrte langsam ein in Berlin und mit ihm die Champions League. Hertha spielte in Istanbul, bei Galatasaray, und die ganze Stadt, so schien es, war voller Vorfreude auf Herthas Rückkehr auf die europäische Fußballbühne. Fast sieben Jahre vor der Weltmeisterschaft 2006 führte Berlin Public Viewing in der Hauptstadt ein. Die Waldbühne, 18.000 Sitze zur Verfügung stellend, sollte ausverkauft sein, hieß es vorher. Das stimmte dann nicht ganz, aber die Stimmung war trotzdem gut. Vor allem, weil sich die meisten Zuschauer schon nach einer Viertelstunde verwundert die Augen rieben: Hertha führte durch Tore von Wosz und Preetz mit 2:0. In Istanbul! In der Champions League!! Hertha!!! Dass das Spiel dann doch nicht in einer triumphalen Rückkehr mündete, lag einmal an der internationalen Unerfahrenheit der Mannschaft (Stichwort: Cleverness) und Kostas Konstantinides. Dem Griechen, gerade wegen seiner internationalen Erfahrung geholt, rutschte im eigenen Strafraum die Hand aus. Rote Karte und Elfmeter. Hagi trifft zum 2:2 Endstand und hinterlässt viele trotzige Berliner, die erst sauer über Schiedsrichter Urs Meier (noch Jahre später war er für mich der Inbegriff des bestochenen Schiedsrichters), dann aber später am Abend vor allem stolz auf ihre Mannschaft waren. Im weiteren Verlauf der Gruppenphase demütigte Galatasaray Hertha zunächst im eigenen Stadion (1:4!) und verhalf ihr dann mit einem 3:2-Sieg gegen den AC Mailand zum Einzug in die (damals noch ausgetragene) zweite Gruppenphase. Selten war ich danach einer türkischen Mannschaft so dankbar, wie damals.

Mehr als neun Jahre ist das jetzt her. Zwischendurch gab es das ein oder andere Vorbereitungsspiel gegen die aktuell vom ehemaligen Bundesliga- und Bundestrainer Michael Skibbe trainierten Türken, alles immer sehr freundschaftlich. Am Mittwoch nun wird es wieder ernst. Diesmal „nur“ Uefa-Cup, aber auch Gruppenphase. Die Vorzeichen sind nur unwesentlich anders. Hertha braucht eigentlich einen Sieg, um die Ausgangslage vor dem letzten Spieltag in Piräus nicht zu aussichtslos werden zu lassen. Wobei eine Niederlage nicht – wie z.B. von Andrey Woronin behauptet („Wenn wir verlieren, sind wir weg“) – das Ausscheiden bedeuten würde, da sich die Zweit- und Drittplatzierten Kharkov und Piräus im direkten Duell gegenüberstehen und sich so gegenseitig die Punkte wegnehmen. Gut möglich, dass es zwischen Piräus und Hertha kurz vor Weihnachten zu einem echten Finale um den Einzug in die KO-Runde gibt. Galatasaray kann Hertha dann allerdings nicht – wie damals gegen Milan – helfend zur Seite springen. Berlin ist ihr letzter Gegner.

60.000 Karten sind für das Spiel angeblich bereits verkauft, was eigentlich heißt, dass erst 45.000 weg sind, man aber gerne 60.000 hätte und durch die Angabe der höheren Zahl all jene sofort zum Ticket-Kauf überreden will, die noch unentschlossen sind. Woher Herthas Finanz-Chef Ingo Schiller wissen will, dass es „auf jeden Fall ein türkisches Übergewicht“ geben wird, würde ich auch gerne mal wissen. Womit natürlich nicht gesagt sein soll, dass es nicht so kommt. Für die türkischen Fans in Berlin ist es das Spiel des Jahres. Für die Berliner nur ein Uefa-Cup-Spiel, das man sich nicht unbedingt geben muss, weil das Stadion ohnehin mit gegnerischen Schlachtenbummlern gefüllt sein wird. Und Hertha-Fans gibt es nicht genug, um das Stadion am Mittwochabend alleine voll zu bekommen.

Galatasaray ist in der Süper Lig zurzeit nur Vierter, was normalerweise schon reicht, um den Trainer über den Bosporus zu jagen. Weil die Mannschaft von Michael Skibbe – die mit den ehemaligen Bundesligaprofis Fernando Meira und Lincoln, sowie den internationalen Stars Harry Kewell und Milan Baros ausgestattet ist – aber in den letzten drei Spielen nicht mehr verloren hat und Skibbe außerdem über ein erstaunliches Sitzfleisch zu verfügen scheint, ist es den hitzköpfigen Offiziellen von Galatasaray bisher noch nicht gelungen, ihn zum Rücktritt zu bewegen. Dass man es versucht hat, steht außer Frage (leider finde ich den Artikel nicht mehr, der sich um die Entlassung von Skibbes Co-Trainern dreht). Aber solange Skibbe nicht in einem der wichtigen Wettbewerbe (Süper Lig, Uefa-Cup) fatal patzt – also entweder so weit von der Spitze entfernt ist, dass eine Meisterschaft nicht mehr möglich ist (zurzeit noch einholbare vier Punkte) oder im Uefa-Cup ausscheidet, was nach einer Niederlage gegen Hertha durchaus noch im Bereich des Möglichen ist – bleibt er Trainer in Istanbul.

Hertha hat indes am Mittwoch nicht nur die Chance durch die erneute Präsenz im TV (20.45 Uhr, ARD) auch außerhalb von Berlin für Aufsehen zu sorgen, sondern auch im nicht-deutschsprachigen Teil der Stadt, wo der Klub bisher quasi nicht stattfindet. Deshalb kann der Appell an Lucien Favre und Co. nur heißen: Bitte kein lahmes 0:0, sondern mindestens ein so engagierter Auftritt wie am Freitag gegen Köln. Und bloß kein 1:4…