Es dauert nicht lange, da ist Werner Hansch in seinem Element. Da zelebriert er jedes Wort, betont jede einzelne Silbe. Er will in diesen Situationen, dass seine Zuhörer jede Nuance seiner Äußerungen in sich aufsaugen. An diesem Samstagabend in „Hürster’s Kochwerkstatt“, dem Abend des letzten Vorbereitungsspiels der deutschen Nationalmannschaft gegen Serbien, richtet der – er hört es nicht gerne – in diesem Jahr 70 werdende Kommentator die Worte an seine Nachfolger: „Lesen bildet Sprache“, sagt er und beinahe möchte man ihm zurufen, dass diese Aussage das Klischee des phrasendreschenden Reporters unterstreicht, als er ergänzt: „Aber Sprache ist nicht das wichtigste.“ Und dann verfällt er in diesen berühmten, genießenden Tonfall: „Es ist die Stimme – Emphase, Modulation – wie etwas klingt, das ist viel wichtiger.“
Man liebt ihn oder man hasst ihn dafür. Auch bei der EM 2008. Nicht bei der ARD, sondern für Radio NRW. Alles ein bisschen kleiner dort. Werner Hansch polarisiert mit seiner Art zu kommentieren, mit seiner Stimme und seinen extravaganten Formulierungen. „Wenn Sie dieses Spiel atemberaubend finden, haben sie es an den Bronchien“ ist eine davon und unter den Zuschauern ist an diesem Abend niemand, der das nicht amüsant findet. Sie sind gehobenen Alters und die Jungen, die da sind, können mit dem Namen Hansch noch nichts anfangen. Es ist ein dankbares Publikum, aber selbst wenn sich unter den Anwesenden ernsthafte Kritiker versteckt hätten, sie würden nicht viel finden, was es zu kritisieren gäbe.
Nicht, dass Hansch keine streitbaren Thesen in die Welt setzen würde. „Die große Rundfunk-Zeit ist längst vorüber.“, „Die große Menge der Fans durchschaut die finanziellen Geschichten nicht, denen ist es egal, wie viel der Spieler verdient, solange er sich für den Verein reinhängt.“ oder „Im Fernsehen neigen die Kommentatoren dazu, zu beschreiben, was der Zuschauer ohnehin schon sieht. Das ist Radio im Fernsehen und für mich die größte aller Sünden.“ Aber er verpackt sie so charmant und erklärt sie nachvollziehbar, dass man ihm nicht widersprechen kann.
Hansch ist nicht der einzige, der da oben auf dem Podium sitzt. Moderiert wird die Veranstaltung von Peter Großmann, dessen Namen einem nichts sagt, den man aber erkennt, wenn man ihn sieht. Komplettiert wird die Runde, die unter dem Titel „Kulturküche“ zusammengekommen ist und neben „Talk“ (Hansch und Großmann) auch „Comedy“ verspricht, von „der Obel„, der einem am ehesten noch als Kommentator Herbert Zimmermann in „Das Wunder von Bern“ in Erinnerung ist. Nebenbei hat der Profiimitator auch einen EM-Song zusammengemixt, der das Zeug hat, alle anderen bisher erschienenen in den Schatten zu stellen. „Sooo gehn die Deutschen“ heißt der. Kann man sich schonmal vormerken. „Der Obel“ ist lustig, die beste Szene des Abends ist allerdings eine sehr traurige.
Werner Hansch hat gerade seine Geschichte erzählt, wie er innerhalb von vier Wochen seine Eltern verlor und deshalb doch auf „die Pütt“ (in die Zeche) musste, um „zu leben“, wie er selbst sagt. Das Studium in Bochum musste er im fünften Semester abbrechen, jobbte nebenbei auf der Trabrennbahn und kam durch „eine Aneinanderreihung von Zufällen“ zum Fußball. Peter Großmann hat keine Ahnung, was er lostritt, als er den eigentlich als witzigen Sidekick eingeladenen – und bis dahin auch als solcher funktionierenden – Obel fragt, ob er auch Erfahrungen „unter Tage“ gemacht habe. Plötzlich schluckt der Kabarettist, kämpft mit den Tränen und erzählt dann mit erstickter Stimme, dass sein Bruder in der Zeche gearbeitet habe und an seinem letzten Tag dort gestorben sei. Den Kampf mit den Tränen gewinnt er schließlich, auch weil Großmann bravourös den emotionalsten Moment des Abends zulässt. Als der Komiker erzählt, dass er Abitur machen durfte und schließlich ein „Kasper“ wurde, sagt Großmann: „Ein emotionaler Kasper – das hat einen Applaus verdient.“ Großes Entertainment.
Dann ist Hansch wieder an der Reihe, die Frage nach seiner Zukunft wird gestellt und der Meister des Reportierens ist sichtlich gerührt, als mutmachender Applaus ertönt. Eigentlich sei er ja Rentner, aber „etwas Schöneres als Rundfunk gibt es nicht.“ Man ahnt bereits, dass er keine große Chance sieht, noch einmal ins Fernsehgeschäft einzusteigen. Der Fernsehsender Premiere sei erstens „voll“ und zweitens würde er die Hierarchie dort durcheinanderbringen. Und die Sportschau? „Die wackelt.“ Hansch glaubt nicht daran, dass es das ARD-Format auch über das Jahr 2009 hinaus, wenn der Spieltag vermutlich erheblich entzerrt wird, geben wird: „Das Geld regiert den ganzen Zirkus.“
Der ist dann pünktlich zum einsetzenden Gewitter vorbei. Erst verabschiedet sich „der Obel“ und dann verschwindet auch Hansch unter dem tobenden Applaus der Zuschauer. Das echte Wesen dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit fernab aller Öffentlichkeit offenbart sich eine Etage tiefer. Dort fragt Hansch ernsthaft interessiert, was man in einem Journalistik-Studium heutzutage lerne und erzählt noch einmal – das Aufnahmegerät ist längst aus – in voller Länge und ohne ein einziges „Äh“ die Geschichte, die ihn zum Fußball gebracht hat.
1973 vertrat er den verhinderten Stadionsprecher des FC Schalke 04. Er hatte zu diesem Zeitpunkt keinen blassen Schimmer von Fußball und leistete sich einen „historischen Versprecher“ als er den Torhüter der Schalker wie folgt ankündigte: „Mit der Startnummer eins: Norbert Nigbur“. Pferde haben Startnummern, Fußballer jedoch Rückennnummern.
Draußen donnert es, Blitze erhellen die Nacht. Werner Hansch ist wieder in seinem Element und wenn man versteht, dass dieser Mann beim Kommentieren keine Rolle spielt, sondern wirklich authentisch ist, dann bekommt diese Stimme, die sich laut Peter Großmann „in unser Gehirn gefressen hat“, eine neue Dimension. Die eines Mannes, der sich nie so wirklich für Fußball interessiert hat (mit 35 Jahren sah er sein erstes Bundesligaspiel) und ihn dennoch durch seine Beschreibungen so greifbar gemacht hat.
„Wir müssen Bilder malen – mit Worten“, hat er an diesem Abend noch gesagt. Wenn es danach geht, entwirftWerner Hansch Gemälde.