Man muss sich das so vorstellen, als würde ein deutscher Zweitligist in der Champions League antreten. So TUS Koblenz gegen den FC Liverpool. Oder Wehen-Wiesbaden gegen Barcelona. Eigentlich keine Chance. Nur zwei Gründe lassen die Hoffnung leben: Alle Spiele finden im heimischen Stadion statt und das ganze Land steht – vor dem ersten Gruppenspiel – hinter der Mannschaft. Im StudiVZ werden Gruppen gegründet wie „Koblenz in der Champions League – Deutschland ist Rheinland-Pfalz“ und haben innerhalb von wenigen Tagen über 200.000 Mitglieder. Aber es gibt auch kritische Stimmen. Einige befürchten, dass der Zweitligist ohne jede Chance bleibt und sich in ganz Europa blamiert. Sie fordern eine „zweitligafreie Champions League„. Ihr Ruf bleibt unerhört.
Was sich merkwürdig liest, hat die Österreichische Nationalmannschaft in den letzten Monaten durchlebt. Seit dem 12. Dezember 2002 – dem Tag der Bekanntgabe von Österreich und Schweiz als Austragungsort der Euro 2008 – diskutiert die Öffentlichkeit unseres Nachbarlandes, ob man denn wirklich antreten sollte, wenn ja, wer die Nummer Eins im Tor ist und ob Trainer Hickersberger überhaupt der richtige Trainer ist. Es folgten erbärmliche Freundschaftsspielauftritte: Im Jahr 2007 gab es einen Sieg in zwölf solcher Vergleiche, 2008 gelang wenigstens im letzten Auftritt vor der EM gegen den Fußballriesen Malta ein 5:1. Mehr Hoffnung zieht die gesamte Alpenrepublik aus den starken ersten Halbzeiten gegen Deutschland (Endstand: 0:3) und die Niederlage gegen die Niederlande (nach 3:0 noch 3:4). Man munkelt aber, dass die Österreicher wissen, dass ein Fußballspiel 90 Minuten dauert.
Als das erste Gruppenspiel gegen Kroatien angepfiffen wird, ist die Stimmung prächtig, auch wenn man beim Singen der Hymnen das Gefühl hat, mehr Kroaten seien im Stadion. Ob die Österreicher ihrer Mannschaft doch nichts zutrauen? So wie Joe Simunic, der kroatische Innenverteidiger von Hertha BSC, der vor dem Spiel sagte: „Ich habe mehr Technik, als alle Österreicher zusammen.“ Der Abwehrspieler und alle Fans, die sich nicht um Karten bemüht haben, sehen sich vermutlich nach nicht einmal drei Minuten bestätigt. Da legt Aufhauser den HSV-Stürmer Olic im Strafraum und Schiedsrichter Fink aus den Niederlanden zeigt keine Gnade: Elfmeter. Modric nutzt ihn zur frühen Führung.
Die Kroaten sind nach diesem Traumstart die klar bessere Mannschaft, drücken auf das zweite Tor – machen es aber nicht. Aber wer weiß, was passiert wäre, wenn der Linienrichter auf der österreichischen Seite in der 29. Minute mal seine Augen benutzt hätte. Denn anders ist es nicht zu erklären, dass er das Halten, Ziehen, Zerren und schließlich Schlagen von Österreichs bereits mit Gelb verwarnten Pogatetz gegen Olic direkt vor seinen Augen nicht an seinen Chef meldet. Vielleicht hat der Mann ein größeres Herz für das Befinden der Gastgeber. Pogatetz wird nicht mal verwarnt. Die Hoffnung lebt weiter.
Aber so etwas gibt es ja im Fußball. Diese eine Aktion, die der Mannschaft das Signal gibt, jetzt mal langsam aufzuwachen. Zwar hat Petric noch einmal die Chance auf 2:0 zu erhöhen (35.), doch dann ist der Gastgeber dran. Eine wirklich Tormöglichkeit, die man 100%ig nennen würde, gibt es zwar nicht. Aber Österreich drückt die Kroaten nun in die eigene Hälfte hinein, hat mehr vom Spiel und auch ein paar Halb-Chancen. Ein Tor gelingt ihnen – ich bin versucht zu sagen natürlich – nicht, auch wenn die Fans sie mit „Immer wieder Österreich“ nach vorne treiben. Die Halbzeit macht dem Spuk aus kroatischer Sicht ein Ende.
In der zweiten Halbzeit geschieht lange nichts. Österreich macht nicht ganz genau da weiter, wo es vor der Pause aufgehört hat. Der Schwung ist in der Kabine geblieben und die Angriffe verpuffen auch weiterhin im 50%-Bereich. Wirklich zwingend ist anders. Aber irgendwie liegt etwas in der Luft. Ein Tor? Die längst fällige Rote Karte für Pogatetz, den Hickersberger unverständlicherweise auf dem Platz gelassen hat? Nein, es ist „nur“ ein Auswechslung. Die versetzt die Österreicher allerdings in Ekstase. Ein 38-Jähriger, der in Kroatien geborene und dann nach Österreich ausgewanderte Ivica Vastic, kommt ins Spiel. Leider fragt man sich als neutraler Beobachter bereits nach fünf Minuten, ob dieser Vastic nicht doch eher aufs Altenteil gehört. Er fabriziert einen Fehlpass nach dem anderen.
Spannung will einfach nicht aufkommen. Also wechselt Österreich munter weiter Spieler ein, die nicht-österreichische Wurzeln haben. Der nächste ist Ümit Korkmaz, Neuzugang von Eintracht Frankfurt. Wussten die Hessen, dass sie keinen Türken kaufen? Egal, denn Korkmaz zeigt sich als agiler Dribbler, der als einer der wenigen Spieler der Gastgeber weiß, wie es ist, einen Gegenspieler aussteigen zu lassen. Wahrscheinlich hat Hickersberger ihm, oder dem wenig später eingewechselten Kienast, den Schwung aus der ersten Hälfte mitgegeben, den die Österreicher in der Kabine vergessen hatten. Die Wechsel zeigen auf jeden Fall Wirkung. Der Ballbesitz der Kroaten sinkt auf gefühlte 30% und plötzlich fühlt man sich an den Vorabend erinnert, als tapferen Schweizern gegen abgebrühte Tschechen einfach kein Tor gelingen wollte. Hat der Fußballgott heute ein Einsehen?
Eine Flanke nach der anderen fliegt in den Strafraum der Kroaten. Bloß ist da niemand, der sie verwertet. Man wünscht den Österreichern in diesem Moment einen Toni Polster zurück – wie das Spiel dann wohl ausgehen würde? So versuchen sich Vastic, Ivanschitz und vor allem der wieselflinke Korkmaz mit Fernschüssen, treffen das Tor aber entweder gar nicht oder scheitern, wie im gefährlichsten Falle von Korkmaz (86.), am kroatischen Keeper. Auch der letzte Kopfball des Spiel, der Roman Kienast wohl zum Österreichischen Odonkor gemacht hätte, geht haarscharf am langen Pfosten vorbei (90.).
Am Ende hat Schiedsrichter Vink, wie schon nach drei Minuten, keine Gnade und pfeift nach der angezeigten Nachspielzeit einfach ab. Was bleibt ist Ernüchterung – und die Erkenntnis, dass ein Zweitligist für die Champions League eben einfach nicht gewappnet ist.